Das Einmaleins der synthetischen Duftnoten
DUFTSTARS PERFUME PROS mit Susanne Hahn-Stromberg
Interview mit PERFUME PRO Susanne Hahn-Stromberg
In unserer Serie "DUFTSTARS PERFUME PROS" sprechen wir mit Experti:innen aus dem Bereich Duft und Parfums. Heute dürfen wir mit Susanne Hahn-Stromberg sprechen. Sie ist Duftexpertin & Trainingsmanagerin Parfum BVLGARI. Sie steht uns Rede und Antwort auf alle Fragen rund um das Thema "Synthetische Duftnoten".

Was ist ein synthetischer Duftstoff?
Die Entwicklung synthetischer Duftstoffe ermöglicht es uns heutzutage, komplexe Düfte herzustellen, die aus einer Vielzahl von Aromen bestehen. Diese können nicht immer aus natürlichen Rohstoffen gewonnen werden. Synthetische Duftstoffe erlauben auch eine größere Kontrolle über die Konsistenz und Qualität von Parfums.
Wir unterscheiden dabei meist zwischen zwei Arten: zum einen gibt es naturidentische Duftstoffe, die in der Natur zwar vorkommen, aber synthetisch hergestellt werden. Zum anderen gibt es Duftstoffe, die überhaupt nicht in der Natur vorkommen, sondern von Meister-Parfümeuren erfunden werden. Dadurch entdecken wir immer wieder neue Duftuniversen, die verlockend und spannend zugleich sind. Wer denkt, das sei supermodern und ganz innovativ, dem sei gesagt, dass die Verwendung bereits auf Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Eine der ersten synthetischen Düfte wurde von Francoise Coty im Jahr 1917 entwickelt und trug den Namen „Chypre".
Dieser Duft gilt bis heute als Meilenstein in der Parfumgeschichte: Es war einer der ersten Düfte, der künstliche Duftstoffe beinhaltete, um den Duft von natürlichen Rohstoffen zu imitieren.
Der Duft von Chypre wurde von einer olfaktorischen Familie von Parfums inspiriert, die nach der Insel Zypern benannt ist. Diese Parfums enthalten oft eine Kombination aus Zitrusfrüchten, Eichenmoos, Patchouli und Labdanum. Cotys Version von Chypre enthielt synthetische Duftstoffe wie Ambroxan und Coumarin, um diese natürlichen Aromen zu imitieren.
Auch wenn die Vorliebe für natürliche Inhaltsstoffe derzeit den größten Trend darstellt – die Duftindustrie, wie wir sie heute kennen, würde ohne diese synthetischen Moleküle nicht existieren. Heute sind synthetische Moleküle Akteure moderner Düfte und werden von natürlichen, altbekannten Duftstoffen wie Blumen und Hölzer unterstrichen. Sie sind oftmals länger haltbar als ihre natürlichen Pendants und können in größeren Mengen hergestellt werden. Bei natürlichen Rohstoffen spielt die Qualität eine maßgebliche Rolle – diese kann aufgrund von Klimabedingungen und dem verwendeten Destillationsverfahren stark variieren.
Ahmen synthetische Duftstoffe immer reale Dinge nach? Warum benötigen wir Sie?
Synthetische Duftstoffe ahmen in der Tat natürliche Duftnuancen wie z.B. Rose, Leder oder Sandelholz nach. Die Entscheidung zwischen natürlichen Rohstoffen und naturidentischen Duftstoffen ist hauptsächlich abhängig von der Duft-Idee des Parfümeurs, natürlich spielen aber auch die Kosten eine große Rolle. Fakt ist: Es gibt nur eine begrenzte Anzahl natürlicher Rohstoffe, während es unzählige synthetische Moleküle gibt. Immer wieder kommt bei Kunden die Frage auf, warum synthetische Duftstoffe in Parfums verwendet werden.
Am bekanntesten sind die synthetischen Moleküle als Ersatz animalischer Ingredienzien. Moschus oder Zibet kennt jeder, der Duft der Drüsen ähnelt den Pheromonen. Heute muss dank der Nachbildung der animalischen Duftformeln in den westlichen Ländern kein Moschushirsch mehr um sein Leben fürchten. Der deutsche Chemiker Heinrich Walbaum konnte im Jahre 1906 die Hauptkomponente von Moschus – das Muscon – in Form weißer Kristalle isolieren.
Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt eine Rolle bei der Entwicklung synthetischer Rohstoffe. Einige Rohstoffe wachsen in ökologisch sensiblen Regionen. Die Preise natürlicher Rohstoffe variieren von Jahr zu Jahr, je nachdem, wie die Ernte ausfällt. Eine „schlechte Ernte“ hat zur Folge, dass weniger Essenz produziert werden kann und somit der Preis steigt. Dann muss der Parfümeur entscheiden, entweder wählt er natürliche Rohstoffe aus lizenzierten und nachhaltigen Kulturen (z.B. bei Oud) und ist bereit den Preis dafür zu zahlen oder er wählt eine synthetische Nachbildung. Diese sind auch durchaus Alternativen zu kostspieligen, vom Aussterben bedrohten Ingredienzien. Dabei werden Moleküle der Natur isoliert und analysiert. So können die Kraftvollsten im Labor nachgebaut werden. Jetzt sprechen wir von synthetischen Molekülen.
Die Natur selbst als Basis für den Einsatz synthetischer Moleküle.
Wer den Begriff „Stille Blüten“ kennt, der weiß, dass viele in der Natur bekannte und beliebte Düfte wie z.B. Maiglöckchen, Flieder, Gardenie oder auch Früchte wie Pfirsich oder Apfel ihren Duft nicht auf natürlichem Weg abgeben können, da einfach die Menge an ätherischen Ölen fehlt oder es kein geeignetes Verfahren gibt. Durch das sogenannte HEADSPACE Nature Print® Verfahren gelingt hier eine fast perfekte Rekonstruktion. Wir sprechen dann von synthetischen Akkorden.
Die Gesetzgebung als Wächter der Gesundheit. Immer wieder werden klassische Duftrezepturen überarbeitet, weil die Europäische Union natürliche Noten ersetzen lässt aufgrund einer angenommenen Gefahr von Allergenen. Ein Beispiel ist Eichenmoos, unverzichtbar für typische Chypre Düfte. Seit einer neuen Richtlinie werden zahlreiche Chypre-Klassiker reformuliert.
Neben den naturidentischen Duftstoffen gibt es auch „Phantasie Moleküle“, also noch unbekannte Moleküle, die eine Raffinesse im Duft darstellen können. Manche Parfums duften nach Schokolade, Metall oder Meer, nach Likör oder Pina-Colada; sie entstehen aus der Fantasie und der Handwerkskunst im Labor.
Viele große Düfte von Chanel über Gaultier, von Guerlain bis Dior entwickeln ihre Raffinesse – damals wie heute – durch moderne Ingredienzien, deren Ursprung das Labor ist. Letztendlich hängt es aber von der Vorliebe des Duftkenners ab, gerade in einer Zeit, in der wir uns immer mehr zu ethischer Herstellung und gleichzeitig der Rückkehr zur Natur hingezogen fühlen.
Welches sind die bekanntesten synthetischen Duftstoffe?
Bereits im späten 19.Jh. kreierte der deutsche Chemiker Albert Baur eine Verbindung namens Coumarin, die nach Waldmeister und Heu duftete. Diese finden wir, wie bereits erwähnt, in dem Duft „CHYPRE“ von Coty.
1889 kreierte der berühmte Aimé GUERLAIN das Meisterwerk „JICKY“, bis heute ein Duftklassiker. Dabei verwendete er synthetische Vanille (Vanillin) und schuf damit die Grundlage einer Idee synthetischer Duftstoffe.
Ernst Beaux hat 1921 eine spritzige Raffinesse für seinen neuen Duft mit Rosen und Jasmin gesucht und hat im Labor angefangen mit Aldehyden zu experimentieren. Dabei entstand einer der berühmtesten Duftikonen: Chanel No.5.
1998 ging Comme des Garçons einen weiteren Meilenstein zur Herstellung neuer Düfte, 95% der Inhaltsstoffe bestehen aus nicht-organischen Essenzen.
Vor 20 Jahren schuf BVLGARI die erfolgreiche Kollektion OMNIA. Die ursprüngliche Vision von BVLGARI war eine Duftkollektion zu kreieren, die das einzigartige Funkeln eines Edelsteins darstellt, also über die Natur hinausgeht. Um diese olfaktorische Vision zum Leben zu erwecken, schuf der Meisterparfümeur Alberto Morillas bahnbrechende kreative Akkorde. Er verwendete selbst kreierte synthetische Materialien, dank innovativer Technologie schuf er moderne Hybriddüfte, in denen das einzigartige Licht eines Edelsteins auf die Ausstrahlung einer aufgehenden Blüte trifft. Nimmt man den Duft z.B. von OMNIA CRYSTALLINE wahr, dann erscheint das reine Weiß einer selbstbewussten Lotusblume, die aus dem Wasser aufsteigt um mit der Sonne zu spielen und die Welt um sie herum zu erhellen.
Das sind nur einige Beispiele – die Duftindustrie entwickelt jährlich immer neue moderne und außergewöhnliche Moleküle, um Duftliebhabern weltweit immer mehr Duftuniversen zu ermöglichen. Während uns natürliche Inhaltsstoffe namentlich leichtfallen, kommen wir bei den synthetischen Namensgebungen leicht ins Schwitzen.
Hier einige Beispiele:
Calone : weist die charakteristische Note einer Meeresbrise mit blumigen Nuancen auf, typisch für aquatische Noten.
Iso E Super: Einst als Starmolekül entwickelt, holzig und moschusartig. Man findet es zum Beispiel in Escentric Molecules „Escentric 01“, ein Solokünstler in der Welt der olfaktorischen Chorgesänge.
Ambrox: Warmer und holziger Duftstoff, der anstelle von animalischem Ambra gerne eingesetzt wird. Hier gibt es viele hochwertige Duft-Beispiele wie z.B. BVLGARI LE GEMME „Tygar“. Auch als Bestandteil klassischer maskuliner Fougère Düfte bekannt oder in modernen Varianten wie „Molecule 02“ der es als Einzelvariante nutzt.
Ethylmaltol: Ein Molekül, wie ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Es wurde bereits 1969 entwickelt und duftet ein wenig nach Zuckerwatte oder Liebesapfelkruste – einfach zum Anbeißen. Ein Geheimnis des bekannten ANGEL (Thierry Mugler) oder NINA (Nina Ricci).
Javanol: Kostbares und zugleich weiches Sandelholz-Molekül, das im Labor entwickelt wurde und dem Duft trotz holziger Note eine gewisse Leichtigkeit vermittelt. Doch Javanol ist sehr viel mehr als nur Ersatz für echtes, lizenziertes Sandelholz. Es ist als Bestandteil eines Duftes ein Star, neben dem sanft holzigen Aspekt ist es auch fruchtig und blumig. Vorsicht – es macht süchtig ☺.
Cashmeran: 1986 entwickelt, imitiert dieses Molekül eine sanfte Umarmung. Zart wie ein Kaschmirschal auf nackter Haut zeigt es eine moschusartige Komponente.
Hedione: Abgeleitet von dem griechischen Wort „hedone“ [= Lust, Vergnügen …]. Eigentlich weniger eine duftende Einzelkomponente als mehr ein „Verstärker“. Entdeckt man eine Strahlkraft in einem floralen Duft, stecken hier meist Hedione dahinter, u.a. auch in DIORs EAU SAUVAGE. Forscher haben herausgefunden, dass Hedione die Gehirnregionen aktivieren können, die mit der Libido verknüpft sind.

Wer entwickelt synthetische Duftstoffe? Kann ich das auch?
Synthetische Duftstoffe werden von verschiedenen Unternehmen und Forschungseinrichtungen entwickelt, darunter große Aromatenhäuser der Duftindustrie wie beispielsweise Firmenich, Givaudan, IFF oder Symrise. Daher sind Vorkenntnisse im Bereich Chemie eine gute Grundlage, um in die Welt der Düfte einzutauchen. Aber auch als Quereinsteiger habt Ihr bei den Riechstoffherstellern eine Chance, wenn Ihr folgende Voraussetzungen mitbringt:
- Außergewöhnlich gutes Geruchsgedächtnis
- Kreativität & Vorstellungsvermögen
- Naturwissenschaftliches Interesse
- Motivation und jede Menge Disziplin