Zwischen Mythos und Legende – Maison française und japanisches Traditionshaus

EINBLICKE

Von alten Formeln, die im Nachtschrank liegen, über kostbare Essenzen, die man nur aus Erzählungen kennt, bis zur fantastischen Entdeckung verstaubter und längst vergessener Gerätschaften: Nichts regt die Fantasie (und die Kaufwilligkeit) der Leute mehr an, als eine gute Geschichte. Spannend muss sie sein und natürlich geheimnisvoll. Es gibt nur wenige Dinge auf der Welt, um die sich so viele Märchen und populäre Fiktionen ranken, wie um die Kunst der Parfumherstellung.

Wo die Mythen ihr Ende finden und die Legenden ihren Anfang, liegt das Vermächtnis der wohl einflussreichsten Dufthäuser. Sie sind die wahren Hüter altehrwürdiger Methoden und die inspirierenden Pioniere, die mit Innovationsgeist neue Ufer erobern. Durch ihre Traditionen und Kultur haben sie maßgeblich zur Erfolgsstory „Parfum“ beigetragen. Haben wir Deine Neugier geweckt? Dann komme mit uns auf eine fantastische Reise durch die Geschichte der berühmtesten Parfumhersteller, lerne die epischen Kreationen kennen und mache Bekanntschaft mit den Künstlern und Visionären hinter der Marke.

Houbigant: Parfums, bei denen man den Kopf verliert

Zugegeben, ein recht zweideutiger Titel, wenn man die Geschichte des ältesten familiengeführten Parfumhauses der Welt kennt: Alles begann im Jahr 1775, als Jean-François Houbigant in der Rue du Faubourg Saint-Honoré, einem mondänen Viertel in Paris, seinen kleinen Duftladen eröffnete – „A la Corbeille de Fleurs“ (Zum Blumenkorb). Dank seines unvergleichlichen Talents und außergewöhnlichen Gespürs für Duftkompositionen, konnte der erst 23-Jährige die königlichen Familien und Adligen in ganz Europa für sich gewinnen und wurde schnell deren offizieller Hofparfumeur.

Die Parfums von Houbigant entzückten Marie-Antoinette, Königin von Frankreich und Ehefrau von Ludwig XVI und begeisterten die französischen Adligen am Hof von Versailles. So war es Houbigant, der den Damen die romantische Wirkung eines leicht parfümierten Fächers enthüllte. Außerdem füllten sie die Truhen Napoleons auf seinen zahlreichen Feldzügen zur Eroberung Europas und waren sein duftendes Accessoire als er sich zum Kaiser krönen ließ, nachdem das Königspaar den Kopf verlor. Zudem war das französische Haus lizenzierter Parfumeur Ihrer Majestät Königin Victoria von England und Zar Alexander III. ernannte Houbigant zum offiziellen Parfumeur am russischen Kaiserhof, einen Titel, den er bis 1917, am Vorabend der Russischen Revolution, behielt.

Im Laufe der Jahrhunderte wuchs die Anerkennung des Hauses Houbigant, nicht zuletzt dank ihres Tatendrangs neue Formulierungen für Düfte zu erfinden. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es ohne Houbigant die Parfumerie, wie wir sie heute kennen, nicht geben würde. So wurde im Jahr 1882, unter der Leitung von Parfumeur Paul Parquet – der seit 1880 Miteigentümer des Unternehmens Houbigant war – der Duft Fougère Royale kreiert (dessen Originalrezeptur in der Osmothèque in Versailles gehütet wird). Eine Revolution für die damalige Zeit, wurde doch erstmals ein chemisch aus der Tonkabohne isolierter Inhaltsstoff namens „Cumarin“ für den Duft verwendet. Es entstand eine völlig neue Kategorie von Parfums, die „Fougère“, welche auch heute noch eine der am häufigsten verwendeten Familien für Herrendüfte ist. Als Fußnote sei jedoch angemerkt, dass Houbigant, während wir heute diesen Duft für die erste bekannte Verwendung eines synthetischen Stoffes in der Parfumerie loben, es zum Zeitpunkt seiner Einführung vorzog, die Verwendung dieses Stoffes nicht zu erwähnen. Stattdessen war von „wissenschaftlichen Methoden, die kommerziell umgesetzt wurden“ die Rede, was nur andeutete, dass Houbigants Düfte mit sehr modernen Produktionsmethoden entwickelt wurden.

Zurück zur Geschichte des legendären Hauses: Paul Parquets Kreativität endete nicht mit Fougère Royale. Er fuhr fort, Parfums mit synthetischen Stoffen herzustellen und kreierte Le Parfum Ideal (1900) sowie Coeur De Jeanette (1908) und Inconnu (1910). 1912 trat der Parfumeur Robert Bienaimé die Nachfolge von Paul Parquet an und brachte im selben Jahr Quelque Fleurs auf den Markt, einen der größten Houbigant-Düfte aller Zeiten. Heute ist Quelque Fleurs l’Original ein Parfum von unbestrittener Schönheit, Charme und Reichtum. Sein Verdienst ist die Verwendung von sechs verschiedenen Absolues, die die Pracht des Blumen- und Chypré-Bouquets so einzigartig machen. Bienaimé verließ Houbigant 1935, um sein eigenes Haus zu gründen. Danach arbeitete Houbigant unter anderem mit den Parfumeuren Paul Schving und Marcel Billot zusammen. Marcel Billot war verantwortlich für einen weiteren großen Houbigant-Duft, Chantilly, der 1941 lanciert wurde. Weitere Highlights sind Duc de Vervins (1985), Quelques Fleurs Royale (2004) und Orangers en Fleurs (2012).

Bis heute werden die Houbigant-Parfums immer noch in Grasse komponiert, dem weltweiten Garten der Düfte, wo Jean-François Houbigant vor über zweihundert Jahren seine ersten Kreationen schuf. Ganz nach der Tradition des Hauses, mit einem Blick für die besondere Auswahl an natürlichen Rohstoffen. Wie sagte der Autor und einer der bedeutendsten Parfumeure der letzten Jahrzehnte, von 2004 – 2016 in-house Perfumer Hermès, Jean-Claude Ellena vor ein paar Jahren:

„Die Parfums von Houbigant haben die Jahre überdauert und trotzen mit ihrer unwiderstehlichen Präsenz dem Zahn der Zeit…“

Shiseido: Fernöstliche Zurückhaltung

Auf geht es in den Fernen Osten, wo Arinobu Fukuhara, ein ehemaliger Chefapotheker der Kaiserlichen japanischen Marine, zusammen mit Kollegen im Jahr 1872 eine Apotheke in der Ginza Chuo Street, im Herzen von Tokio, gründete. Es war die erste private Apotheke Japans im westlichen Stil und der Geburtsort der Marke Shiseido. Historikern zufolge wurde der Name aufgrund einer Passage aus dem I Ging (dem Buch der Wandlungen) gewählt, einem alten Text, der seit Tausenden von Jahren zu Wahrsagezwecken verwendet wird. Der „die Tugenden der Erde preist, neues Leben nährt und bedeutende Werte hervorbringt“ verkörpert die Entschlossenheit des Unternehmens, neue Werte aus der Kombination des Besten der westlichen Wissenschaft mit östlicher Weisheit zu schaffen, die den Menschen zugutekommen.

Anfänglich entwickelte Arinobu kosmetische Produkte, die auf der Grundlage der fortschrittlichsten westlichen pharmakologischen Technologie formuliert wurden und importierte Parfum aus Paris, bis Arinobus Sohn Shinzo – 1915 gewählter Präsident von Shiseido – im Jahr 1917 das erste Parfum von Shiseido präsentierte. Hanatsubaki, wurde in Anlehnung an die Kamelienblüte kreiert, die eigentlich kaum einen eigenen Duft hat. In der japanischen Kultur gilt die Kamelie aber als Symbol für das Göttliche und spielt seit Hunderten von Jahren eine wichtige Rolle bei traditionellen Zeremonien. Außerdem sind die Japaner keine Freunde von schweren, aufdringlichen Düften, sie bevorzugen leichte, kaum wahrnehmbare Düfte. Das hängt primär mit dem Glauben zusammen. Der Shintoismus (die ethnische Religion der Japaner) hat Reinheit immer mit Geruchlosigkeit gleichgesetzt. Auch die dichte Besiedlung Japans spielt hier eine Rolle. Man respektiert den geringen Raum der anderen Personen, verhält sich rücksichtsvoll und spielt sich nicht in den Vordergrund. Es gilt als extrem vulgär und unhöflich, einen starken aufdringlichen Duft zu tragen.

Das Design des Flakons lehnte sich an den damals populären Modernismus an, verlieh ihm aber eine Tiefe und Schwere mit japanischem Flair. Die Oberseite des Stopfens war mit eingravierten Blumen verziert. Als Fotograf und Künstler entwarf Shinzo selbst das Logo mit der Kamelie. Dieses Parfum wurde der Ursprung aller nachfolgenden Shiseido-Düfte.

Die Marke Shiseido kann sich zahlreicher Düfte rühmen, die Geschichte geschrieben haben, wie Kiku (1920), auf der Basis natürlicher Chrysanthemenblüten – ein typisch japanischer Duft. Das schlichte Design des Flakons zeichnet sich durch sanft abfallende Schultern an der oberen Öffnung aus, die nach unten hin spitz zulaufen. Der Verschluss besteht aus einer Glaskugel, die hohl ist. Das Blumenmuster auf dem Flakon war direkt in die Oberfläche eingelassen. Die äußere Schachtel war mit Gold verziert, das durch ein Hanfgeflecht gedämpft wurde, um dem Ganzen ein elegantes, durchsichtiges Aussehen zu verleihen. Im Rahmen der Olympischen Spiele in Tokio 1964 lancierte Shiseido den Duft Zen, benannt nach einer im Westen bekannten religiösen Philosophie, die oft mit dem Wesen der japanischen Kultur in Verbindung gebracht wird. Der schlichte schwarze Lackhintergrund des Flakons und die vergoldeten Bilder von herbstlichen Feldern und Gärten (die auf Motiven des Kodai-Tempels basieren) sollten ein geheimnisvolles Gefühl von orientalischer Subtilität und Tiefe hervorrufen.

1980 begann Shiseido die Kollaboration mit dem französischen Designer und Parfumeur Serge Lutens:

„Die Präzision der japanischen Kultur hat mich fasziniert.“

Seine Kampagnen für Shiseido, die von den Gemälden von Tamara de Lempicka bis hin zu Fritz Langs Metropolis inspiriert waren, waren ein Blitzableiter radikaler Kreativität in der sonst so nüchternen Welt der Schönheitswerbung. Sein erster Duft für Shiseido – Nombre Noir (Co-created mit Jean-Yves Leroy) gilt als einer der erfolgreichsten (und teuersten) Düfte, auch wenn er nur kurz in den Verkaufsregalen zu finden war. Er verband die lichtempfindlichen und zerbrechlichen Eigenschaften der Damaszener Rose – eines künstlich hergestellten Rosenöls, dessen Herstellung so teuer war, dass Shiseido mit jedem Flakon einen Verlust machte – mit einer exquisiten Verpackung, die an Origami aus schwarzer Seide erinnerte.
Auch wenn die Geschichte von Nombre Noir (1975) ein tragisches Ende nahm, war sie für Shiseido dennoch ein Aushängeschild exklusiver Qualität in Kombination mit ihrem beispiellosen Innovationsgeist. Wenn man über Parfums von Shiseido spricht, dürfen Klassiker wie Shiseido Ginza (1975), Christopher Sheldrakes berühmte Kreation Feminite du Bois (1992) in Zusammenarbeit mit Pierre Bourdon, Jean-Louis Sieuzac floraler Duft Angelique (1991) sowie Jacques Cavalliers Vocalise (1997) nicht fehlen. Sie beweisen einmal mehr die Vorreiterrolle Shiseidos als Inspirationsquelle für die japanische spirituelle Schönheit.

Hat Dir der Blick hinter die Kulissen der berühmtesten Parfumhäuser gefallen? Dann sei gespannt. Beim nächsten Ausflug in die Geschichte nehmen wir Dich mit nach Spanien und Italien, wo ein Umzug in ein neues Land so manch duftende Berufung mit sich brachte.